„Die Lektüre begeistert und macht neugierig.“ – Eine Rezension in der Kirchenzeitung MV

27. November 2012

Buchbesprechung zum Buch „Theresiesnstadt – Eine Zeitreise“ von Hans Tödtmann, Evang. Akademie Berlin

Es geht darum, dass nicht vergessen wird, was dort geschehen ist.
Theresienstadt sollte aber gleichzeitig eine lebendige Stadt sein.

 

So formuliert Dagmar Lieblová die Aufgabe der heute Terezín genannten Stadt gegenüber  den Autoren Uta Fischer und Roland Wildberg. Dagmar wurde als Kind in das Ghetto Theresienstadt deportiert und überlebte als Einzige ihrer Familie den Holocaust.

Heute ist sie Vorsitzende der Theresienstädter Initiative, einer Vereinigung überlebender Häftlinge. Sie ist zufrieden, dass es angemessene Orte zum Gedenken an die Opfer und Museen zur Geschichte des Ghettos und des Gestapo-Gefängnisses gibt. Sie sieht aber auch die Gefahr, dass eine Musealisierung der gesamten Stadt, die Entwicklung ersticken würde. Eine Stadt ohne Menschen, die hier ganz normal leben und ihr Auskommen finden, hat keine Zukunft, sagt sie.

Tatsächlich hat die einstige Garnison mit dem Abzug des tschechischen Militärs im Jahr 1997 ihre Zweckbestimmung und wirtschaftliche Basis verloren. 15 Jahre danach sind Teile der Stadt immer noch von Leerstand und Verfall geprägt. Notwendig ist eine dritte Konversion: Es gilt eine lebendige Stadt zu schaffen, die sich ihrer vielschichtigen Vergangenheit bewusst ist. Hierzu einen wertvollen Beitrag geleistet zu haben, ist das große Verdienst der Autoren Uta Fischer und Roland Wildberg.

Ein erweiterter Tourismus, der sich neben dem Besuch der Gedenkstätten auch für die Geschichte und die städtebaulichen Qualitäten des Ortes interessiert, ist daher von großer Bedeutung für die Stadtentwicklung. Terezín kandidiert zwar als Einheit von spätbarocker Festungsstadt und Gedenkort für das UNESCO-Weltkulturerbe. Doch neben dem Gedenken an die politischen Gefangenen in der Kleinen Festung und einem Blick in das auf Initiative von Vaclav Havel 1990 entstandene Ghetto-Museum in der Stadt, bleibt Tagesbesuchern kaum Zeit für einen Stadtrundgang oder zu einem vertiefenden Nachvollzug historischer Spuren. Die Autoren empfehlen deshalb Besuchern, sich der Topografie und Geschichte des Ortes im Ganzen zu vergewissern.

Das handliche Buch bietet kompakte Informationen zu Planung, Bau und Funktionsweise der noch heute erhaltenen eindrucksvollen Festungsanlage, deren Namenspatronin die im Jahr der Grundsteinlegung verstorbene Kaiserin Maria Theresia war. Illustriert durch Zeittafeln, biografische Hinweise zu den Akteuren, historische Pläne und zeitgenössische Darstellungen wird die Festungsanlage ausführlich erläutert. Die eingebettete barocke Planstadt wird in einem besonderen Abschnitt ’Spurensuche’ mit ihren wichtigsten militärischen und zivilen Bauwerken vorgestellt.

Theresienstadt war Festung von 1790 – 1888, wurde jedoch weiter als Garnison und Militärgefängnis genutzt. Im I. Weltkrieg wurden russische Kriegsgefangene und Deserteure der österreichischen Armee festgesetzt. Als prominentester Gefangener starb hier 1918 der Attentäter von Sarajevo an den Folgen der Haft. Vor diesem Hintergrund werden die Entscheidungen des SS-Führers Heydrich nachvollziehbar, Theresienstadt als Gestapo-Gefängnis und Ghetto zu nutzen.

Nach der Besetzung Böhmens und Mährens wurde die Kleine Festung 1940 zum Gefängnis für mehr als 30.000 politische Gefangene, meist Tschechen aus Intelligenz und Widerstand. 2.700 Häftlinge überlebten die Haft nicht. Zur Umsetzung von Hitlers Anordnung, alle Juden aus dem ’Reichsprotektorat Böhmen und Mähren’ zu entfernen, wurde Theresienstadt 1941 zum Sammel- und Durchgangslager für Juden umfunktioniert. Erst wurden die Deportierten in die Kasernen eingesperrt, wenig später wurde die Zivilbevölkerung der Festungsstadt zur Aussiedlung gezwungen, um auch die Privathäuser mit jüdischen Häftlingen zu füllen. Ab 1942 kamen tausende alte Menschen aus Deutschland und Österreich ins Lager. Bis zu 58.000 Häftlinge wurden in die für nur 7.000 Menschen gebaute Stadt eingepfercht, mehr als 33.000 starben an Unterernährung und Krankheiten. Bald gingen von Theresienstadt die ersten Transporte in die Vernichtungslager ab.

Den Autoren gelingt es, diese dunkelste Etappe der Zeitreise besonders anschaulich zu beschreiben. Historische Pläne, Fotos und Zeichnungen von Häftlingen vermitteln ein eindrückliches Bild von den unmenschlichen Haftbedingungen – aber auch von den vielfältigen kulturellen Initiativen, die das Lagerleben erleichterten. Auch dieses Kapitel wird durch eine ’Spurensuche’ ergänzt. Die wichtigsten Gebäude und Anlagen werden in ihrer Funktion erläutert – ein Stadtrundgang mit doppeltem Boden.

Ohne Vergegenwärtigung der Vergangenheit keine Zukunft. Zum ersten Mal liegt hier ein mitreis(s)endes Buch vor, das die ganze Geschichte der über 200 Jahre alten Festungsstadt erzählt und gleichzeitig ihre aktuellen Probleme vor Augen führt. Die Lektüre begeistert und macht neugierig. Wer eine Reise dorthin erwägt, dem bietet dieses Handbuch eine Zeitreise an. Und wer schon dort war, wird zurückkehren, um die Stadt mit schärferem, liebendem Auge zu sehen.

Erstellt am: 27. November 2012

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