Theresienstadt: 67 Jahre nach Kriegsende warten historische Spuren und Relikte auf ihre Entschlüsselung – ein Aufruf von Uta Fischer
28. September 2012
Bei Besuchen in Theresienstadt hört man immer wieder eine Frage: Wo war denn hier das Ghetto?
Natürlich fällt es heute schwer, sich vorzustellen was hier einmal stattfand, dass diese Stadt einmal ein riesiges Gefängnis war. Im Stadtbild gibt es neben den Einrichtungen der Gedenkstätte zwar einige wenige Hinweise zu diesem traurigsten Kapitel der Stadtgeschichte. Aber gibt es auch authentische Zeugnisse aus dem Alltag der Häftlinge?
Ja, es gibt sie. Tatsächlich sind sogar erstaunlich viele Relikte in Häusern und Kasernen erhalten. Doch kaum jemand weiß, welche Geheimnisse die Dachböden und Keller bis heute in Terezín/Theresienstadt verbergen. Verblüfft frage ich mich seit langem: Warum interessiert sich niemand dafür?
Zum Verständnis hier ein Beispiel: Für jeden sichtbar und zugänglich sind die Festungsmauern. Genauer gesagt: ein Zugang in den Festungsgraben. Hierzu muss man wissen, dass bis zum Ende der 90er Jahre große Bereiche des Festungsgürtels von der tschechischen Armee genutzt wurden. An diesem Ort, der einst die Grenze des Ghettos markierte, sind zahlreiche bemerkenswerte Spuren zu verorten. In Sandstein geritzte Reliefzeichnungen geben uns Nachgeborenen viele Fragen auf. Manche sind kunstvoll, andere eher unscheinbar oder scheinbar banal. Einige Bilder zeigen Symbole für Hoffnung und Glauben, andere lassen Rückschlüsse auf Personen zu, denn Namen oder Transportnummern oder ein Datum sind wertvolle Hinweise. Besonders auffällig sind mehrere markante Satire-Darstellungen von einem Uniformierten, auch eine erotische Frauendarstellung existiert.
Die Urheber waren zumeist Häftlinge und Mitglieder der Ghettowache. Kein Zweifel, Zeit und Mühe waren notwendig, um sich auf diese Weise zu verewigen. Vermutlich motivierte den ein oder anderen die lange Weile während des monotonen Wachdienstes. Doch die Ritzungen im Sandstein bedeuten mehr: Sie erinnern an Menschen und ihr persönliches Schicksal. Aber wie war es möglich, dass hier Häftlinge ihre Botschaften hinterließen? Und welches Risiko nahmen sie auf sich? Die Reliefs im Sandstein sind Zeugnisse der Gefangenschaft, sie können uns viele Geschichten erzählen. Wir müssen ihnen nur nachgehen.
Die Auseinandersetzung mit diesen und anderen Spuren beginnt erst. Sie wirft neben der Entschlüsselung auch weitergehende Fragen auf: Sollen diese Relikte unter Schutz gestellt werden? Wie kann eine Einbindung in die pädagogische Arbeit vor Ort aussehen? Sollten diese Spuren Bestandteil touristischer Stadtrundgänge sein? Viele Fragen sind offen.
Im Buch Theresienstadt. Eine Zeitreise wurde bereits eine Auswahl von Spuren und Relikten in Form von Fotos dokumentiert. Auch das ICOMOS-Mitglied Prof. Dr. Astrid Debold- Kritter hatte schon vor vielen Jahren auf Spuren aus der Zeit 1941-1945 hingewiesen, die im Rahmen eines Workshops von Studenten der Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin zusammengetragen worden sind. Eine Unterschutzstellung oder nähere Untersuchung seitens der tschechischen Denkmalpflege blieb jedoch aus. Zeitzeugen, Forscher und interessierte Laien möchte ich daher ermuntern, sich bei der Entschlüsselung und Interpretation zu beteiligen
Demnächst mehr zu diesem Thema.
Uta Fischer
Erstellt am: 28. September 2012
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